Nachhaltigkeit ist ein zentrales Thema, gerät jedoch durch geopolitische Unsicherheiten, wirtschaftliche Spannungen und sich stetig wechselnde Regularien zunehmend unter Druck. Unternehmen, vor allem KMUs, bremsen beim Thema ESG und warten ab. Doch ist diese reaktive Haltung wirklich zielführend?
Einführung
In den vergangenen Jahren avancierte Nachhaltigkeit zu einem der zentralen Themen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Doch angesichts wachsender geopolitischer Unsicherheiten, wirtschaftlicher Spannungen und politischer Umbrüche gerät die Bedeutung von Nachhaltigkeit immer stärker unter Druck.
Ob es die Ergebnisse der US-Präsidentschaftswahlen, politische Kurswechsel in Deutschland oder neue EU-Regulatorien wie die Omnibus-Direktive sind – all diese Entwicklungen zeigen eindrücklich, wie schnell und unvorhersehbar sich die Rahmenbedingungen für Unternehmen verändern können. Diese volatile Dynamik veranlasst viele Unternehmen – insbesondere auf KMU-Ebene – dazu, beim Thema ESG (Environmental, Social, Governance) auf die "Bremse" zu treten (soweit es die Regularien erlauben). Statt aktiv zu handeln, wird abgewartet, welche Entwicklungen sich abzeichnen könnten.
Doch ist diese abwartende, reaktive Haltung tatsächlich zielführend?
What’s in for me? - ESG-Nutzenpotenziale
Die vergangenen Jahre waren stark von der Umsetzung der Anforderungen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) geprägt, auch wenn die Omnibus-Verordnung (European Commission 2025) durch die zeitliche Verschiebung (und tlw. auch Aufhebung) einiger Regelungen zuletzt für etwas Entspannung gesorgt hat. Doch der wahre Wert von ESG wird erst dann sichtbar, wenn Unternehmen über die bloße Erfüllung regulatorischer Vorgaben hinausblicken und ESG als strategischen Hebel begreifen.
Unternehmen, die ökologische und soziale Aspekte sowie Prinzipien guter Unternehmensführung als integralen Bestandteil ihrer Geschäftsstrategie verankern, profitieren von einer Vielzahl von Vorteilen:
- Erhöhte Resilienz: Studien (Lu et al 2022; Yang et al 2024) belegen, dass Unternehmen, die nachhaltige Praktiken verfolgen, eine höhere Resilienz gegenüber Marktkreisen und wirtschaftlichen Schwankungen aufweisen.
- Langfristige Kostensenkung: Durch einen effizienten Einsatz von Ressourcen und die Optimierung von Prozessen können Unternehmen ihre Betriebskosten nachhaltig reduzieren und gleichzeitig einen positiven Beitrag zur Umwelt leisten (Reichert et al 2018).
- Holistische Risikoerkennung: ESG-Kriterien können in das Risikomanagement integriert werden und unterstützen, potenzielle Risiken und Bedrohungen frühzeitig zu identifizieren und proaktiv darauf reagieren zu können (Hunziker & Controller Institut 2024).
Durch die Realisierung der Nutzenpotenziale folgen weitere Vorteile, die Unternehmen aus der strategischen Implementierung der ESG-Konformität für sich ziehen können:
- Stärkere Bindung von Mitarbeitern und Kunden: Unternehmen, die ESG-Prinzipien aktiv leben, schaffen ein attraktives Arbeitsumfeld und fördern die Loyalität ihrer Belegschaft. Gleichzeitig gewinnen sie das Vertrauen und die Treue ihrer Kunden, die zunehmend Wert auf nachhaltige und verantwortungsvolle Geschäftspraktiken legen.
- Vertrauensgewinn bei Investoren: Investoren bevorzugen zunehmend Unternehmen, die ESG-Kriterien erfüllen, da diese als zukunftsfähiger und risikoärmer gelten. Eine klare ESG-Strategie kann somit den Zugang zu Kapital erleichtern und die Attraktivität für Investoren steigern.
Unternehmerisches Ambitionsniveau ist entscheidend
Die Fähigkeit eines Unternehmens, die zuvor beschriebenen ESG-Nutzenpotenziale zu realisieren, hängt maßgeblich von der eigenen strategischen Ausrichtung und dem Ambitionsniveau ab. Dieses lässt sich grob in drei Rollenprofile unterteilen, die unterschiedliche Herangehensweisen und Prioritäten in Bezug auf Nachhaltigkeit widerspiegeln:
- Minimalist: Unternehmen in dieser Kategorie betrachten Nachhaltigkeit ausschließlich als gesetzliche Verpflichtung. Nachhaltigkeit wird als reine Kostenposition wahrgenommen und spielt bei strategischen Entscheidungen keine Rolle. Diese Haltung minimiert kurzfristig den Aufwand, schränkt jedoch die langfristigen Entwicklungsmöglichkeiten erheblich ein.
- Optimizer: Hier wird Nachhaltigkeit als Mittel zur Risikominimierung verstanden. Unternehmen prüfen Nachhaltigkeitsaspekte, um negative Auswirkungen zu reduzieren, ohne diese jedoch fest in die bestehende Strategie oder Steuerungslogik zu integrieren. Profitabilität hat Vorrang vor Nachhaltigkeit, und die Einbindung von ESG-Aspekten erfolgt lediglich rudimentär, beispielsweise im Risikomanagement.
- Performer: In dieser Rolle wird Nachhaltigkeit als integraler Bestandteil der Unternehmenssteuerung betrachtet. Sie ist ein zentraler Faktor bei strategischen Entscheidungen, etwa in Bezug auf Portfolio-Management oder Investitionen. Unternehmen in dieser Kategorie sehen Nachhaltigkeit nicht nur als gleichwertig zu finanziellen Steuerungsinstrumenten, sondern auch als strategischen Wettbewerbsvorteil.
Ein Wechsel zwischen den Rollenprofilen ist grundsätzlich möglich, jedoch mit entsprechenden Mehrkosten und Anpassungsaufwänden verbunden. Unternehmen sollten daher frühzeitig eine klare Entscheidung treffen, welche Rolle sie einnehmen möchten, um ihre ESG-Ziele effektiv zu erreichen und sich nachhaltig im Wettbewerb zu positionieren.
Neben der eigenen Entscheidung über das Ambitionsniveau wird dem Unternehmen ebenfalls geraten, den Wettbewerb und die Marktsituation zu betrachten. So kann die eigene Entscheidung gegen ein höheres Ambitionsniveau auch bedeuten, dass der Wettbewerb dadurch einen Vorteil erlangt, wenn er wiederum die Vorteile, besonders in Richtung der Kunden und Mitarbeiter, als Performer realisiert.
Die neue Performance Excellence mit ESG
Die Integration von ESG in die Unternehmenssteuerung stellt eine neue Dimension der Performance Excellence dar. Dabei geht es nicht nur um die regulatorische Pflichterfüllung, sondern um die strategische Verankerung von Nachhaltigkeitsprinzipien in allen Bereichen der Unternehmensführung & -steuerung. Um diesen Wandel wirksam zu gestalten, braucht es ein strukturiertes Vorgehen, das sich in vier wesentliche Schritte gliedert:
Schritt 1: Integration materieller ESG-Themen in das strategische Zielsystem
Materielle ESG-Themen müssen fest in die globale und funktionale Strategie eines Unternehmens eingebettet werden. Dies bedeutet, dass Nachhaltigkeitsaspekte nicht isoliert betrachtet, sondern als integraler Bestandteil der strategischen Entscheidungsfindung verstanden werden. Die Priorisierung relevanter ESG-Themen sollte dabei sowohl auf die Unternehmensziele als auch auf die Erwartungen der Stakeholder abgestimmt sein. Nur durch eine klare Verankerung in der Unternehmensstrategie können ESG-Ziele effektiv umgesetzt werden.
Schritt 2: Anpassung der Steuerungslogiken & Kultureller Wandel
Die bestehenden Steuerungsmodelle eines Unternehmens müssen an die festgelegte ESG-Strategie und die damit verbundenen Ziele angepasst werden. Ein zentraler Bestandteil ist die Auswahl und Ableitung geeigneter ESG-Kennzahlen (KPIs). Diese sollten einem klar definierten Schema folgen, das sicherstellt, dass nur die wirklich relevanten und wirkungsvollen Aspekte gesteuert werden. Dabei gilt: Nicht alles, was messbar ist, sollte auch gesteuert werden! Ein weiterer entscheidender Faktor ist die Integration von ESG-KPIs in das Incentivierungssystem. Maximales Engagement der Organisation kann nur dann erreicht werden, wenn die anreizschaffenden KPIs mit den Unternehmenszielen und der Unternehmenskultur in Einklang stehen. Dies fördert nicht nur die Akzeptanz, sondern auch die nachhaltige Umsetzung von ESG-Zielen.
Schritt 3: Aktualisierung der Steuerungsprozesse und internen Kontrollen
Um den Fortschritt bei der Umsetzung von ESG-Zielen messbar zu machen, ist eine Aktualisierung der Steuerungsprozesse und Kontrollmechanismen erforderlich. Dies umfasst die regelmäßige Überprüfung und Anpassung bestehender Prozesse, um sicherzustellen, dass sie den aktuellen Anforderungen und Entwicklungen gerecht werden. Dabei sollten klare Verantwortlichkeiten definiert und regelmäßige Berichtszyklen etabliert werden, um Transparenz und Nachvollziehbarkeit zu gewährleisten.
Schritt 4: Daten- und Systemintegration
Eine effiziente Verarbeitung und Konsolidierung von ESG-Daten erfordert ein hohes Maß an Daten- und Systemintegration. Die zeitliche Erhebung der ESG-Kennzahlen kann dabei von den Abschlussfrequenzen der Finanzdaten abweichen, sodass die Systeme flexibel genug sein müssen, um diese Unterschiede zu berücksichtigen. Darüber hinaus ist die Abbildung der ESG-Informationen an der transaktionalen Quelle von entscheidender Bedeutung. Dies setzt lokale Kompetenz in den jeweiligen Einheiten voraus, um eine hohe Datenqualität sicherzustellen und die spezifischen Anforderungen der einzelnen Standorte zu berücksichtigen. Eine durchdachte Daten- und Systemintegration bildet somit die Grundlage für eine effektive Steuerung und Berichterstattung von ESG-Leistungen.